1888 - 1893

Auftakt zu einer neuen Ära

 

 

In den 1890er Jahren begann die goldene Ära der Blasmusik, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ihren Höhepunkt erreichen sollte. Der Markt für Unterhaltungsmusik wurde von Jahr zu Jahr immer größer. Es gab noch keine Schallplatten, kein Radio, kein Fernsehen und erst recht noch kein Internet oder Spotify. Leibhaftig gespielte Musik war gefragt. Im Gegensatz zur eher klassisch orientierten Musik der Streichorchester stand die Blasmusik in jenen Tagen für moderne Unterhaltungsmusik. Spielten die Musikkapellen einen Marsch, wurde nicht selten dazu getanzt. So entstanden aus der Marschmusik mit One-Step, Two-Step und Ragtime völlig neue und überaus populäre Musikrichtungen. Die Musikkapellen unterhielten regelmäßig große Zuhörerschaften, besonders bei den beliebten sommerlichen Freiluftkonzerten.

Durch die Industrialisierung wurden nun Musikinstrumente als Massenware hergestellt und waren für eine breite Schicht der Bevölkerung erschwinglich geworden. Als Folge gründeten sich immer mehr zivile Musikkapellen und Musikvereine. Zum Ende des 19. Jahrhunderts bestanden in Köln bereits einige kleinere Blaskapellen, die sich besonders zum Karneval hervortaten. Die Musikvereine "Ossian" und "Arion" waren aus Gesangvereinen hervorgegangen und finden sich seit ca. 1875 in der Aufstellung des Rosenmontagszuges. Etwas professioneller war bereits das "Kölner Fachmusiker-Orchester" aufgestellt, das von Wilhelm Süper, einem Vorfahren der heutigen Karnevalslegende Hans Süper, geleitet wurde. Die zivilen Musikkapellen standen allerdings im Schatten der preußischen Militärkapellen der Kölner Garnison. Diese waren trotz ihres etwas konservativeren Repertoires bei den Veranstaltern stets die erste Wahl und schränkten dadurch das Wirken und die Entwicklung der Zivilkapellen sehr stark ein.

Die populärste preußische Militärkapelle jener Zeit war das Trompeterkorps der Deutzer Kürassiere. Die Kapelle stand seit 1888 unter der Leitung von Reinhold FellenbergTypischerweise stammte dieser preußische Kapellmeister nicht aus Köln. Fellenberg war gebürtiger Schlesier. Sein Instrument war das Piston, auf dem er als international anerkannter Virtuose galt. Ein Zeitzeuge berichtete: "Nahm Fellenberg das Piston in die Hand, dann war alles Ohr, das begeisterte Publikum wurde nicht müde, dem beliebten Stabstrompeter, dessen kräftige Gestalt mit wallendem Vollbart etwas Imponierendes hatte, zuzuhören. Seine Kapelle hatte er vorzüglich geschult." Die Kürassierkapelle konzertierte regelmäßig im Stadtgarten und im Zoologischen Garten, im Saal der Bürgergesellschaft und in der Flora, ferner auch im Stapelhaus und im Nippeser Volksgarten.

 

 

Reinhold Fellenberg
Reinhold Fellenberg und die Deutzer Kürassier-Kapelle vor dem Musikpavillon im Kölner Zoo.

 

 

Wie schon sein Vorgänger Gustav Petrowsky, so fand auch Reinhold Fellenberg schnell Zugang zum Kölner Karneval. Bereits 1889 erschien sein erster Karnevalsmarsch mit dem Titel "Je toller, je besser". Ihm folgten jährlich weitere Karnevalsmärsche: Der "Präsident-Prior-Marsch", der "Kölner Seehafen Marsch" oder der "Carnevals-Jubel-Marsch von 1902" aber auch eher volkstümliche Titel, wie z.B. "Doh ha´mer der Rään, Opus 4711". Von Fellenberg stammt der Regimentsmarsch der Blauen Funken, ebenso die ersten Tänze der Ehrengarde. Seine populärste Tat war aber die Vervollständigung des Marsches der Roten Funken mit dem bekannten Trio "Ritsch, ratsch, die Botz kapott!"

Auch über die Grenzen der Stadt Köln hinaus fanden Fellenbergs Kompositionen Beachtung. Sein Galoppmarsch erhielt den Ritterschlag und wurde in die königlich preußische Armeemarschsammlung aufgenommen. In Deutschland mittlerweile in Vergessenheit geraten, wird dieser Marsch bis zum heutigen Tage von der berittenen Kapelle der britischen Leibgarde zuweilen beim Wachwechsel am Buckingham Palace in London gespielt. Weitere bekannte Kompositionen Fellenbergs sind sein "Märchenzauber" (1893) sowie "Allerneueste Nachrichten" (1896).

Reinhold Fellenbergs Ruhm schlug sich schließlich in seinem Spitznamen nieder: Sprach man von Fellenberg, so sprach man schlicht vom "Trompeter von Köln". Er selber nahm diesen Spitznamen bereitwillig an und komponierte sich gleich ein gleichnamiges Konzertwerk, selbstverständlich mit einem herrlichen Piston-Solo. Die Kölner Karnevalisten hingegen hatten ihren eigenen Spitznamen für Reinhold Fellenberg: So wird er bei den Roten Funken bis heute unter dem Namen "Pommery" geführt; wohl ein Hinweis auf Fellenbergs bevorzugte Champagnermarke. Passend hierzu komponierte er seine "Champagner-Polka".

 

 

 

 

 

Nach einer überaus erfolgreichen 40-jährigen Wirkungszeit schied Reinhold Fellenberg schließlich aus dem aktiven Dienst aus. Sein Abschiedskonzert fand im Stapelhaus statt. Das dreiteilige Konzertprogramm umfasste neben Ouvertüren, Walzern und Liedern auch mehrere vom Meister persönlich vorgetragene Piston-Soli, welche das tausendköpfige Publikum ein ums andere Mal zu Begeisterungsstürmen hinriss. Seinen Ruhestand verlebte Fellenberg in Bad Godesberg, wo er in der Brunnenallee eine Villa bezogen hatte, an deren Front in großen Lettern der Schriftzug "Der Trompeter von Köln" prangte. Am Rosenmontag machte er sich in jedem Jahr auf den Weg zurück nach Köln, wo er vom Balkon des Café Bauer auf der Hohestraße beim Eintreffen des Zuges seine Piston-Soli schmetterte.

 

Ein weiterer preußischer Militärkapellmeister jener Epoche hat seine Spuren im Kölner Karneval hinterlassen: Robert Fensch, Musikmeister des berittenen Trompeterkorps des Bergischen Feldartillerie-Regimentes Nr. 59. Er war zunächst Musiker in Reinhold Fellenbergs Kürassierkapelle gewesen und kehrte nach absolviertem Studium als Kapellmeister nach Köln zurück. Hier komponierte er zahlreiche Märsche und Lieder für den Karneval, weswegen ihn die Kölner den "reitenden Mozart" nannten. Auch Robert Fensch war kein gebürtiger Kölner, er stammte aus Pommern. So waren es ausgerechnet preußische Kapellmeister, zumeisst auch noch von auswärts, welche die kölnische Blasmusiktradition zum Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich mitgestalteten und ausbauten. Der Boden war bereitet für eine neue Kölner Musikapelle.

 

 

 

 

Robert Fensch als Kapellmeister der Blauen Funken.

1893 - 1914

Fritz Hannemann und die Rückkehr der Kölner Kapellen

 

Zu jener Zeit diente der Kornettist und Violinist Fritz Hannemann als Militärmusiker im Range eines Hautboist-Unteroffiziers in der Kapelle des 7. Artillerie-Regimentes. Als Korpsführer leitete er regelmäßig die Zweitbesetzung des Musikkorps bei verschiedenen Karnevalssitzungen und hatte daher recht gute Beziehungen zu verschiedenen Kölner Sitzungspräsidenten. Im Jahr 1893 nutzte Hannemann diese Beziehungen, um sich mit einer eigenen zivilen Musikkapelle selbständig zu machen.

Die damals populäre Karnevalsgesellschaft "Närrische Südwester" verpflichtete Fritz Hannemann und seine Kapelle für ihre Sitzungen im Festsaal des Volksgartens am Eifelplatz. Präsident der Südwester war der spätere Funken-Präsident Christian Witt, der damals auch ein bekannter Büttenredner war. Darüber hinaus hatte Witt bereits einige Theaterstücke und Singspiele verfasst, die regelmäßig bei allen großen Kölner Karnevalssgesellschaften aufgeführt wurden. Er erkannte Hannemanns schöpferisches Potential und engagierte ihn als Komponist und Arrangeur für seine künftigen Singspiele. Fritz Hannemann wurde dadurch auch bei weiteren namhaften Kölner Karnevalsgesellschaften bekannt.

Im Jahr 1896 übernahm Hannemann die Position des Hauskapellmeisters im Victoria-Saal an der Severinstraße. Dieser war nicht nur beliebter Schauplatz zahlreicher Karnevalssitzungen, das ganze Jahr über fanden hier Konzerte und Revue-Veranstaltungen statt. Hierdurch konnte sich das Orchester nun auch über den Karneval hinaus einen guten Namen beim Kölner Publikum machen und so zur Jahrhundertwende den Spitzenplatz unter den Kölner Zivilkapellen einnehmen.

 

   

Fritz Hannemann

 

 

 

Im Sommer des Jahres 1900 traf im Rahmen seiner ersten Europa-Tournee der amerikanische Marsch-König John Philip Sousa mit seiner ausgezeichneten 60-köpfigen Musikkapelle in Köln ein. Die Kapelle gab in der Flora zwei Serien von insgesamt zwölf Matinee- und Abendkonzerten. Dabei bot Sousas Orchester weitaus mehr als nur reine Marschmusik. Auf dem Konzertprogramm standen Ouvertüren, Operettenauszüge und zahlreiche Solonummern von Sousas hervorragenden Musikern, bei denen auch der moderne Ragtime nicht fehlte. Neben seinen handverlesenen Instrumentalisten engagierte der weltbekannte Band-Leader für seine Konzerte auch gerne professionelle Sängerinnen, meist aus renommierten Opernhäusern. Die Sousa-Band galt zu jener Zeit als das weltweit führende Blasorchester. Obwohl es sich um eine zivile Musikapelle handelte, konnte sie es dennoch spielend mit jeder Militärkapelle aufnehmen. Die Konzerte waren ein großer Erfolg, so dass Sousa mit seiner Band drei Jahre später erneut nach Köln kam, um nun auch im ehrwürdigsten Konzertsaal der Stadt, dem Gürzenich, mehrere Vorstellungen zu geben. Die Qualität und Struktur der Sousa-Band beeindruckten den im Publikum sitzenden Kölner Kapellmeister Fritz Hannemann und gaben seiner Arbeit wertvolle neue Impulse. Hatte Sousa doch eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass eine Zivilkapelle durchaus in Qualität und Erfolg einer Militärkapelle ebenbürtig sein konnte.

 

 

 

John Philip Sousa und seine Band während der Europa-Tournee des Jahres 1900.

 

 

 

Ein weiterer Kölner Musiker hatte die Sousa-Konzerte miterlebt: Hermann Schmidt. Dieser gründete in der Folgezeit ebenfalls eine zivile Musikkapelle, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges unter dem Namen Rheinische Kaiserjägerkapelle bestand. Hermann Schmidt stammte ursprünglich aus Minden in Westfalen. Er hatte beim Musikkorps des Pionierbatallions Nr. 7 an der Boltensternstraße gedient und spielte das Solo-Piston derart virtuos, dass er bereits nach einer relativ kurzen Dienstzeit den Militärdienst quittierte, um sich nun auf einem immer lukrativer werdenden Markt mit einer eigenen Kapelle selbstständig zu machen.

 

Selbstverständlich agierten die beiden neuen Kölner Musikkapellen zunächst noch in einem weit kleinerem Maßstab als das große Vorbild aus Amerika. Aber der Anfang war gemacht. Fritz Hannemann und Hermann Schmidt sollten sich in den kommenden Jahrzehnten zu den bestimmenden Figuren der Kölner Blasmusik entwickeln.

 

 

 

 

Hermann Schmidt und seine "Rheinische Kaiserjäger-Kapelle".

 

 

 

Die größte Bühne Kölns war damals wie heute der Rosenmontagszug. Hermann Schmidt spielte mit seiner Kapelle für die Gesellschaft "Greesberger". Fritz Hannemann spielte derweil mit seinen Musikern im Rosenmontagszug zunächst für die Gesellschaft "Närrische Südwester", ab 1903 dann für die Große Allgemeine KG und ab 1908 schließlich als "Matrosenkapelle" für die Karnevalgesellschaft Sr. Tollität Reichsflotte.

 

In der Karnevalssession des Jahres 1908 machte ein junger Sänger von sich reden, der die beliebten musikalischen Kurzgeschichten, die sogenannten Krätzchen, in einer völlig neuen Art präsentierte: Willi Ostermann. Bisher hatten sich die Krätzchensänger damit begnügt, ihre Texte auf bereits etablierte Operetten-, Marsch- oder Walzermelodien zu reimen. Willi Ostermann trat nun erstmals mit eigenen Melodien auf. Seinen großen Durchbruch hatte er mit "Däm Schmitz sing Frau eß durchgebrannt!". Die Musik zu diesem Titel hatte Ostermann bei Emil Neumann, dem Kapellmeister des Reichshallen-Theaters in der Gertrudenstraße in Auftrag gegeben. In der Folgezeit begann Willi Ostermann eine äußerst fruchtbare Zusammenarbeit mit Emil Palm, einem Urenkel des legendären Urjels Palm. Die Lieder von Ostermann und Palm wurden ein gewaltiger Erfolg und sind bis heute Klassiker der kölschen Musik. Sie machten Willi Ostermann in den folgenden Jahrzehnten zum populärsten Kölner Volkssänger aller Zeiten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Jahr 1911 wurde Carl Umbreit Präsident der Prinzen-Garde. Er war zuvor lange Jahre Sitzungspräsident im Victoria-Saal gewesen und daher mit Fritz Hannemann bestens bekannt. Umbreit verpflichtete für die Sitzungen des Jahres 1912 zwar die ausgezeichnete Kapelle der Feldartillerie unter Robert Fensch, da diese am Rosenmontag aber bereits bei den Blauen Funken unter Vertrag stand, gelangte das Hannemannsche Trompeterkorps als erste Zivilkapelle überhaupt auf die prestigereiche Position an der Spitze eines Kölner Karnevalskorps.

Fritz Hannemann arbeitete nun auch verstärkt mit Sängern zusammen. Am 21. Juni 1913 hatte der Kölner Oberbürgermeister Max Wallraf einen Preis für eine kölnische Hymne ausgeschrieben. Hannemann konnte diesen Kompositionswettbewerb für sich entscheiden. Seine "Hymne auf die Stadt Köln", vorgetragen vom bekannten Kölner Sänger Heinrich Keller, wurde preisgekrönt und brachte ihm ein für die damalige Zeit stolzes Preisgeld von 1.000 Mark ein. Letztlich war diesem Preisausschreiben aber kein Erfolg im eigentlichen Sinne beschieden, so dass Hannemanns Hymne heute leider als verschollen gilt.

Wesentlich erfolgreicher waren seine Karnevalsschlager wie etwa "Do behs do jo!" oder "Mer drinke nor noch Bottermilch". Seinem Freund Carl Umbreit widmete er in alter Verbundenheit den Schlager "Dat eß der Jupp vum Kägelclub". Im Karneval wurden Hannemanns Lieder vom populären Kölner Sänger Gerhard Ebeler vorgetragen, dessen Bruder Hubert oftmals die Texte beisteuerte.

Fritz Hannemann war mittlerweile im Karneval fest etabliert und das Hannemannsche Trompeterkorps hatte sich zur ersten Kölner Musikkapelle seit über 80 Jahren entwickelt, die den preußischen Militärkapellen ernsthafte Konkurrenz machen konnte.

 

 

Fritz Hannemann mit seinen Musikern als Kapelle der Prinzen-Garde, 1912
Der bekannte Kölner Sänger Gerhard Ebeler war der bevorzugte Interpret von Hannemanns Karnevalsschlagern.

 

 

Im Jahr 1914 zog der Rosenmontagszug unter dem Motto "Weltausstellung in Köln" durch die Straßen der Domstadt. Es war der bis dahin größte und prachtvollste Zug aller Zeiten. Das Motto des Zuges nahm Bezug auf die im Sommer stattfindende Werkbundausstellung. Nach dem Vorbild der großen Weltausstellungen war auf dem rechten Rheinufer, auf dem Gelände des heutigen Rheinparks, ein riesiges Areal mit Ausstellungspavillons, Schaugebäuden, Restaurationsbetrieben, einem beachtlichen Theaterbau und einem großem Vergnügungspark entstanden. Man erreichte das Ausstellungsgelände mit einer Fähre. Direkt vom Anleger gelangten die Besucher auf den zentralen Platz des Ausstellungsgeländes in dessen Mitte ein großer Musikpavillon stand. Die Ausstellung wurde im Mai 1914 mit einem Konzert der Deutzer Kürassierkapelle eröffnet. Danach fanden in dem Musikpavillon täglich Blasmusikkonzerte statt, mit denen die Besucher auf dem Ausstellungsgelände willkommen geheißen und den gesamten Tag über unterhalten wurden. Die Ausstellung sollte eigentlich bis Oktober geöffnet bleiben, wurde aber am 6. August 1914 aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges abgebrochen.

Noch in der selben Woche zogen die preußischen Militärkapellen der Kölner Garnison allesamt mit ihren Regimentern ins Feld. Auch die Musiker der Zivilkapellen wurden größtenteils zum Militärdienst einberufen. Das kulturelle Leben unterwarf sich in den folgenden Jahren vollständig dem Kriegsgeschehen.

 

 

 

1918 - 1926

Unter britischer Verwaltung

 

Im Herbst 1918 stand die Niederlage des deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg fest. Anfang Dezember hielt die britische "Brigade of Guards" vom Aachener Weiher aus Einzug nach Köln: Die Coldstream Guards zogen mit ihrer hervorragenden Musikkapelle am Dom vorbei über die Hohenzollernbrücke, um Quartier in Deutz und in der Kalker Kronprinzen-Kaserne zu beziehen, während die Irish Guards mit ihrer nicht minder guten Kapelle entlang des Hansaring und der Riehler Straße zur Kaserne an der Boltensternstraße marschierten.

Für die kommenden acht Jahre sollte Köln unter britischer Verwaltung stehen. Es galt sogar die britische Uhrzeit. Das Verhältnis zwischen den britischen Besatzern und der Kölner Bevölkerung wurde jedoch als entspannt und respektvoll beschrieben. Die Kölner merkten recht schnell, dass sie mit dem vielgerühmten britischen Humor besser zurecht kamen, als mit preußischem Drill und Kommiss. Ausserdem stellte sich heraus, dass gerade die traditionelle britische und irische Musik anscheinend eine besondere Wirkung auf die Kölner Seele hatte. Eine Wesensverwandtschaft, welche übrigens auch Jahrzehnte später noch ihren Ausdruck in der Musik des Kölner Karnevals offenbarte: So sind viele uns heute vertraute Karnevalsschlager der 1970er und 1980er Jahre in Wirklichkeit importierte irische und britische Volkslieder, denen findige Musikunternehmer einen kölschen Text verpasst haben. 

Während der Besatzungszeit fanden nahezu wöchentlich große Paraden und Wachaufzüge statt, welche die britische Authorität über die Stadt Köln unterstreichen sollten. Die unterschiedlichen Wachkompanien wurden dabei mehrfach von den "Massed Bands", den vereinigten Musikkorps der Garnison mit über 100 Musikern angeführt. Die Aufmärsche boten den Kölnern ein grandioses Spektakel. Sie wurden in gewisser Weise wohl auch als Ersatz für die nicht stattfindenden Rosenmontagszüge angesehen. Besonderes Augenmerk zogen dabei die Dudelsack-Kapellen der schottischen Regimenter auf sich. Neben den Paraden und Aufzügen fanden zudem regelmäßig Konzerte der britischen Militärkapellen im Stadt- und im Volksgarten statt. Den Kapellen war jedoch, genau wie einst den französischen Musikkapellen, ein außerdienstliches Auftreten untersagt.

 

 

Konzert einer britischen Militärkapelle am Rheinufer.

 

 

Der Karneval blieb bis auf weiteres verboten. Selbiges galt für alle von Karnevalsgesellschaften organisierte Veranstaltungen, so dass auch keine Sitzungen oder Bälle stattfinden konnten. Ausgenommen waren hingegen Veranstaltungen die der allgemeinen Unterhaltung dienten, wie Konzerte, Theater- und Varietéaufführungen. Die Kölner Theaterdirektoren nutzten die Gelegenheit und organisierten sitzungsähnliche Veranstaltungen, die nach professionellen Grundsätzen des Varietés aufgebaut waren. Es war die Geburtsstunde der Karnevals-Revue.

Bereits im Jahr 1919 wurde die erste Karnevals-Revue unter dem Titel "Jan un Griet" im Metropol-Theater an der Apostelnstraße aufgeführt. Im Mittelpunkt der Aufführung stand die Kölner Künstlerin Grete Fluss. Die gesamte Musik zu dieser Revue hatte Fritz Hannemann komponiert, dessen Kapelle nun auch die musikalische Begleitung übernahm. Die Karnevals-Revue wurde ein großartiger Erfolg, das Metropol war bis Aschermittwoch jeden Abend ausverkauft. In den kommenden Jahren folgten weitere Revuen unter den Titeln "Mer sin vun Kölle am Rhing" und "D´r Feldmarschall vum Kümpchenshof". Die Karnevals-Revuen liefen jeweils von Neujahr bis Aschermittwoch und begeisterten das Publikum; und sie machten Grete Fluss, die immer wieder die Titelrolle spielte, zum umjubelten Star. Die Musik stammte stets von Fritz Hannemann und die Revuen sicherten das Auskommen seiner Kapelle in dieser karnevalslosen Zeit.

Aus "D´r Feldmarschall vum Kümpchenshof" stammt übrigens Hannemanns wohl bekanntestes Werk, der heute noch populäre Schlager "Kölsche Mädcher, kölsche Junge, sin dem Herrgott jot jelunge". Aus einer weiteren Revue mit dem Titel "Die Fastelovendsprinzessin" stammt einer der größten Klassiker der kölschen Musik: Willi Ostermanns "Och wat wor dat fröher schön doch en Colonia".

 

 

 

 

Trotz des Verbots, oder vielleicht auch gerade deswegen, brachte Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Neugründungen von Korpsgesellschaften im Kölner Karneval mit sich: Im Jahr 1922 wurde das Altstädter-Korps formiert, kurze Zeit später folgte das Reiterkorps "Jan von Werth" und in Lindenthal gründete sich im selben Jahr das Husarenkorps. Diese neuen Korpsgesellschaften benötigten alle eine charakteristische Erkennungsmusik und alle Märsche jener Korps stammen von einem einzigen Komponisten: Heinrich Frantzen.

Heinrich Frantzen war 1880 in Köln als Sohn eines Schuhmachermeisters in Köln zur Welt gekommen. Bereits mit 16 Jahren spielte er als Trompeter im Orchester des Scala Theaters. Später trat Frantzen als Militärmusiker in die Kapelle der 59er Feldartillerie unter Robert Fensch ein, wo er sich einen Ruf als Piston-Virtuose erwarb. Während des Ersten Weltkrieges brachte er es sogar bis zum Militärkapellmeister. Nach dem Krieg arbeitete Heinrich Frantzen dann als ziviler Kapellmeister, Komponist und Arrangeur in seiner Heimatstadt Köln. Bereits zur Kaiserzeit hatte er eine eigene Musikkapelle zusammengestellt, die unter dem selbstbewussten Namen "Kölner Elite-Blasorchester" auftrat. In den 1920er Jahren spielte er mit dieser Kapelle oft zu Konzerten in den vornehmen Kölner Biergarten und in den Kursälen von Bad Godesberg, Bad Neuenahr und Bad Honnef.

Herausragend war Heinrich Frantzen als Komponist. Als solcher zeichnete er sich für eine ganze Reihe ausgezeichneter Konzertwerke verantwortlich. Ihm gelang es, die beliebten Krätzchen und Gassenhauer der Kölner Karnevalssänger einzufangen und in hervorragenden Konzertpotpourris zu verarbeiten. Das bekannteste dieser Werke ist "Köln aus Rand und Band". Darüber hinaus komponierte Heinrich Frantzen Fantasien, Charakterstücke und zahlreiche Karnevals- und Konzertmärsche. Mitten im Karnevalsverbot widmete er im Jahr 1923 dem Festkomitee einen Festmarsch zum 100-jährigen Jubiläum des Kölner Karnevals mit dem fordernden Titel "Mer welle Fastelovend hann". Als Heinrich Frantzens berühmtestes Werk gilt jedoch zweifelsohne der bis heute populärste Kölner Marsch aller Zeiten: "Der treue Husar".

 

 

Heinrich Frantzen

 

 

In Heinrich Frantzens Werken lassen sich bereits viele typische Stilelemente der britischen Militärmusik erkennen. Denn ebenso wie vor ihnen die Franzosen und die Preußen, so beeinflussten nun auch die in Köln stationierten britischen Militärkapellen die kölsche Blasmusik und hinterließen deutliche Spuren. So übernahmen fast alle Kölner Musikkapellen die britische Marschaufstellung. Eine Tradition, die von der Stadtkapelle bis zum heutigen Tage gepflegt wird.

Derweil blieben die Karnevals-Revuen neben dem Divertissementchen des Kölner Männer-Gesang-Vereins die einzigen öffentlichen Karnevalsveranstaltungen jener Zeit. Einige Karnevalsgesellschaften umgingen jedoch das Verbot, indem sie sich in vermeintlich unkarnevalistische "Clubs" umbenannten. Dadurch konnte hinter verschlossenen Türen zumindest wieder etwas Karneval gefeiert werden. So begingen die Roten Funken im Jahr 1923 ihr 100-jähriges Jubiläum mit einer Festsitzung. Hierzu spielte nun Hermann Schmidt mit seiner Kapelle. Thomas Liessem erinnerte sich: "Im Januar 1923 bestanden die Roten Funken hundert Jahre. Aller Prunk war aufgeboten, den Anlaß würdig zu begehen. Auf der Empore knatterte die Funkenkapelle mit Hermann Schmidt, dem Trompeter vom Rhein, ein musikalisches Feuerwerk ab. Als Hermann Schmidt in Deutzer Kürassieruniform auf seinem silbernen Piston zunächst ´Behüt Dich Gott, es wär so schön gewesen´geschmettert hatte, schlug ihm voller Applaus entgegen."

Ab 1925 genehmigte die britische Verwaltung endlich wieder das Abhalten von Karnevalssitzungen in geschlossenen Räumen. Der Straßenkarneval blieb hingegen weiterhin verboten. Auf einer der ersten Herrensitzungen debütierte ein junger Krätzchensänger, der sich künftig zu einem der erfolgreichsten Nachfolger Willi Ostermanns entwickeln sollte: Karl Berbuer. Mit seinem Lied "Se kriggen uns nitt kapott" kommentierte er das Karnevalsverbot der britischen Verwaltung. Die Musik zu diesem Lied hatte wiederum Fritz Hannemann geschrieben.

 

 

 

 

 

Am 31. Januar 1926 endete schließlich die britische Herrschaft über die Stadt Köln. In einer feierlichen Zeremonie wurde der Union-Jack am britischen Oberkommando im Hotel Excelsior eingeholt und unter den Klängen des "treuen Husaren", vorgetragen von einer britischen Militärkapelle, durch eine rot-weiße stadtkölnische Fahne ersetzt. Im Anschluss marschierte die britische Ehrenkompanie mit klingendem Spiel zum Hauptbahnhof um die Rückreise nach England anzutreten. Köln war wieder frei.

 

 

 

1926 - 1933

In Frieden und Freiheit

 

 

Nach dem Abzug der Briten schlug nun endlich die Stunde der Kölner Zivilkapellen. Denn jetzt regte sich wieder das traditionelle rheinische Leben mit seinem althergebrachten Brauchtum und seinem gewaltigen Bedarf an guter Blasmusik, im Winter zum Karneval und im Sommer zu Schützenfesten und Konzerten. Nach dem Abzug der Briten wurde das Rheinland gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages zu einer entmilitarisierten Zone erklärt, so dass keine neuen Militärkapellen nach Köln gelangten. Viele der mittlerweile arbeitslosen preußischen Militärmusiker erinnerten sich jedoch an die recht beträchtlichen Verdienstmöglichkeiten in der Region rund um Köln und schlossen sich nun den Zivilkapellen an. So entstanden in Köln und Umgebung hervorragende zivile Klangkörper, in der Regel professionell ausgerichtet. Diese waren in der Lage, durch ihr ausgezeichnetes Niveau dem hohen Anspruch der Veranstalter und des Publikums gerecht zu werden und so den Wegfall der Militärkapellen zu kompensieren.

Das Hannemannsche Blasorchester nahm in den 1920er Jahren erneut den Spitzenplatz unter den Kölner Musikkapellen ein. Fritz Hannemann hatte mittlerweile die Besetzung seiner Kapelle um Holzbläser erweitert und somit harmonisch komplettiert. Zuweilen war das Orchester sogar mit Streichern besetzt. Personell zeichnete sich Hannemanns Kapelle durch eine starke Kontinuität aus. Noch im Jahr 1928, zum 35-jährigen Jubiläum der Kapelle, spielten in deren Reihen zahlreiche Gründungsmitglieder.

Fritz Hannemann hatte nicht nur die Musik zu den großen Karnevalsrevuen komponiert, er arrangierte auch mehrere hervorragende Konzertwerke für großes Blasorchester, wie die "Karnevalsklänge", den "Rheinischen Sang" oder "Willi Ostermann´s Schlager-Potpourri". Wie bereits erwähnt, entstammen auch zahlreiche populäre Karnevalslieder seiner Feder. Sein Karnevalsmarsch aus dem Jahr 1929 wird bis heute zum Einzug des Kölner Dreigestirns gespielt. All dies machte Fritz Hannemann in den 1920er Jahren zum produktivsten Musikschaffenden des Kölner Karnevals. Er gilt zudem als Erfinder der modernen, schlagfertigen Sitzungskapelle im Karneval. Bereits zum Anfang der 1920er Jahre produzierte er erste Schallplatten-Aufnahmen und auch das neue Medium des Rundfunks steigerte den überregionalen Bekanntheitsgrad seiner Kapelle. Am Rosenmontag hatte das Hannemannsche Blasorchester weiterhin seinen Stammplatz an der Spitze der Prinzen-Garde.

 

 

 

Musikdirektor Fritz Hannemann

als Kapellmeister der Prinzen-Garde.

 

 

 

 

Auch die Kapelle Hermann Schmidt erfreute sich in den 1920er Jahren größter Beliebtheit. Hermann Schmidt übernahm viele Traditionen und Verpflichtungen der einstigen Deutzer Kürassierkapelle. Auch er erweiterte nun schrittweise die Besetzung seines Orchesters durch ein großes Holzbläser-Register. Nach dem Krieg waren gleich mehrere ehemalige Musiker des Musikkorps des mittlerweile aufgelösten Infanterie-Regiment Nr. 68 in Schmidts Kapelle eingetreten, weshalb diese im Volksmund auch die "68er Kapelle" genannt wurde. Aufgrund seiner Virtuosität auf dem Kornett nannte man Hermann Schmidt selber, in Anlehnung an Reinhold Fellenbergs Ehrentitel, nun den "Trompeter vom Rhein".

Hermann Schmidt bekleidete seit 1922 die angesehene Position des Kapellmeisters der Roten Funken und spielte mit seiner Kapelle auch noch für zahlreiche weitere Karnevalsgesellschaften. Im Sommer erfreute das Orchester als Bundeskapelle des Deutschen Radfahrerbundes die Besucher der alten Riehler Radrennbahn. Zum Neusser Schützenfest übernahm die Kapelle den einst von den Deutzer Kürassieren besetzten Platz an der Spitze des traditionsreichen Neusser Reitercorps. Darüber hinaus spielte Hermann Schmidt mit seiner Kapelle auf zahlreichen Schützenfesten in den Ortschaften zwischen Köln und Neuss. Neben seiner eigenen Kapelle leitete er als Dirigent auch das Werksorchester der städtischen Gas-, Elektrizitäts-, und Wasserwerke sowie das renommierte Blasorchester der Bayerwerke in Leverkusen.

 

 

Hermann Schmidt und seine Kapelle, die sogenannten "68er", im Jahr 1929.

Hermann Schmidt als Kapellmeister der Roten Funken.

 

Die Kapelle Hermann Schmidt an der Spitze der Roten Funken.

 

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Eine Neuheit war das Musikkorps des Kölner Garde-Vereins unter der Leitung von Friedrich Wilhelm Klein. Im Gegensatz zu den beiden anderen Kapellen war das Musikkorps des Garde-Vereins in der Tradition der Kavalleriemusik besetzt, bestand also ausschließlich aus Blechbläsern und Schlagzeugern. Die Kapelle hatte ihren ersten öffentlichen Auftritt kurz nach Abzug der Briten am 22. März 1926. Auf dem Rathausplatz nahm sie als Teil der Ehrenformation der Kölner Vereine und Innungen am Empfang des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg durch den Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer teil. Markenzeichen des Musikkorps waren vier Fanfarenbläser und ein Kesselpauker zu Pferd in den Uniformen der ehemaligen Garde-Kavallerie-Regimenter. Zum Karneval spielte die Kapelle an der Spitze der Blauen Funken.

Der Kesselpauker des Musikkorps war eine lokale Berühmtheit in Köln: Elo Sambo. Geboren in der einstigen deutschen Kolonie Kamerun, war er vor dem Kriege Pauker bei den Potsdamer Leibgarde-Husaren gewesen. Militärmusiker mit afrikanischen Wurzeln waren in der preußischen Armee keine Seltenheit. Der bekannteste unter ihnen war Gustav Sabac el Cher, der sogar als Militärkapellmeister Karriere machen konnte. Im Jahr 1914 rückte Elo Sambo mit seinem Regiment ins Feld und geriet zum Ende des Krieges in britische Kriegsgefangenschaft. Aus dieser entlassen, kehrte Sambo nach Deutschland zurück und trat, wiederum als Kesselpauker, in die Reichswehr ein. Doch nur wenige Jahre später verlor er, ebenso wie tausende weitere Militärmusiker, aufgrund der Verkleinerung der Streitkräfte seine Anstellung und wurde arbeitslos. Über Umwege holten ihn alte Kameraden nach Köln, wo er ab 1926 beim Musikkorps des Garde-Vereins wieder in seinem angestammten Beruf als Musiker arbeiten konnte. In den Folgejahren eröffnete er hoch zu Ross in der Uniform der Blauen Funken mit der Kapelle des Garde-Vereins den Rosenmontagszug.

Elo Sambo war ein allseits beliebter und geschätzter Musiker, so dass er neben seinem Engagement beim Musikkorps des Garde-Vereins gelegentlich auch in der Kapelle von Hermann Schmidt mitwirkte. Der Historiker Dr. Helmut Keßler erinnerte sich: "Er war in Köln bekannt wie ein bunter Hund und vor allem die Kinder verehrten ihn geradezu. Im Frühjahr 1933 starb Elo Sambo und entging somit jeglicher Bedrängung wegen seiner Hautfarbe durch die nationalsozialistischen Machthaber. Seine Beisetzung auf dem Kölner Südfriedhof geriet zu einem eindrucksvollen Ereignis. Zwei vormalige Angehörige des Leibgarde-Husaren-Regiments trugen hinter dem Sarg den Kranz, den der abgedankte Kaiser Wilhelm II. aus seinem holländischen Exil geordert hatte. Ihnen folgten Abordnungen aller Kölner militärischen Traditionsgemeinschaften, voran die des Garde-Vereins. Die Fahnen- und Standartenträger und ihre jeweils zwei Begleiter trugen die farbenprächtigen Friedensuniformen des kaiserlichen Heeres von vor 1914. Zu Ende gegangen war der Lebensweg eines Mannes, der mit seinen Auftritten als brillanter Musiker große Aufmerksamkeit und wegen seiner menschlichen Qualitäten hohe Wertschätzung erfahren hatte."

 

 

Das Musikkorps des Kölner Garde-Vereins im Jahr 1928.
Die Fanfarenbläser des Musikkorps des Kölner Garde-Vereins in den Uniformen der ehemaligen Garde-Kavallerie Regimenter der Alten Armee. An den Kesselpauken Elo Sambo, oben rechts Musikmeister Friedrich Wilhelm Klein.

Seinerzeit ein kölsches Original: Kesselpauker Elo Sambo. Hoch zu Ross kannte ihn in Köln jedes Kind, ob als Leibgarde-Husar oder im Rosenmontagszug an der Spitze der Blauen Funken. Sambo war ein ausgezeichneter und allseits geschätzter Musiker und wirkte u.a. auch an der decken Trumm in der Kapelle von Hermann Schmidt bei den Roten Funken mit.

 

 

Das Musikkorps des Garde-Vereins als berittene Kapelle der Blauen Funken, Rosenmontag 1927.
F. W. Klein als Kapellmeister der Blauen Funken.

 

 

Während die Kapelle Schmidt und auch der Garde-Verein großen Wert auf ein möglichst militärisches Auftreten legten, im Sommer trugen beide Kapellen elegante grüne Uniformen mit Schirmmütze, unterschied sich das Hannemannsche Blasorchester ganz wesentlich davon. Die Kapelle von Fritz Hannemann spielte nur äußerst selten Marschmusik. Hannemann verstand seine Kapelle eher als Konzert-Orchester, die Musiker sahen sich vorrangig als Künstler. Wirklich in Uniform konnte man das Orchester nur zur Karnevalszeit erleben. Typisches Erkennungszeichen der "Hannemänner" war das übrige Jahr über der zivile schwarze Gehrock, auf der Straße zunächst noch mit Zylinder. Später avancierte dann der "Bibi" (so nannte man in Köln die Kopfbedeckung, die sonst überall als "Melone" bekannt war) zur inoffiziellen Kopfbedeckung der Zivilmusiker.

Bei aller Konkurrenz war das Verhältnis der Musikkapellen untereinander damals noch von großer Kollegialität geprägt. Der Markt war groß genug, dass alle Kapellen gut davon leben konnten und personell half man sich oft gegenseitig aus. Die Kapellmeister der großen Kölner Kapellen schlossen sich sogar gemeinsam mit einigen führenden Musikern, Komponisten und weiteren Größen der Kölner Karnevalsszene zu einem seinerzeit legendären Kegelclub zusammen.

Zur Mitte der 1920er Jahre musizierten im gesamten Rheinland zahlreiche professionelle zivile Blasorchester, die aufgrund ihrer hohen Qualität Publikum und Veranstalter gleichermaßen begeisterten. Neben den drei großen Kölner Kapellen seien an dieser Stelle auch einige der auswärtigen Kapellen in Erinnerung gehalten: So etwa die Stadtkapelle Düsseldorf unter der Leitung von Carl Hütten, der ebenso wie Fritz Hannemann mehrere Heimatlieder und Karnevalsschlager komponiert hatte, von denen das Düsseldorfer Jonges-Lied bis heute populär geblieben ist. Die Neusser Stadtkapelle stand unter der Leitung von Musikmeister Paul Pawellek, wobei es in Neuss mit der Rennefeldschen Kapelle und der Kapelle Jean Schmitz sogar noch zwei weitere hervorragende Musikkapellen gab. In Bonn schließlich musizierte die Traditionskapelle der Königs-Husaren unter der Leitung von Hermann Ihling, deren militärische Vorgängerorganisation vor dem Kriege oftmals am Kölner Rosenmontagszug teilgenommen hatte.

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sorgten in Köln mehrere Großereignisse dafür, dass die Musikkapellen zum nahezu allgegenwärtigen Teil des städtischen Gesellschaftslebens wurden. So fand im Jahr 1928 auf dem eigens neuerbauten Messegelände in Deutz die Weltausstellung des internationalen Pressewesens, die "Pressa" statt. Wie schon zur Werkbundausstellung 14 Jahre zuvor hatte man für diese "kleine Weltausstellung" am rechten Rheinufer neben aufwendigen Pavillons und Ausstellungsgebäuden zur Unterhaltung des Publikums auch wieder einen Musikpavillon errichtet. Dieser befand sich am Staatenhaus, unmittelbar vor dem sogenannten Leuchtbrunnen, dem heutigen Tanzbrunnen. Am 12. Mai 1928 eröffnete Oberbürgermeister Konrad Adenauer die Ausstellung. Bis zu ihrem Abschluss am 14. Oktober spielte Fritz Hannemann mit seiner Kapelle regelmäßig zu Konzerten auf dem Pressa-Gelände und erfreute dabei das heimische sowie das internationale Publikum u.a. mit Willi Ostermanns Pressa-Lied.

 

 

 

 

Am 1. Juli 1928 wurde in der großen Messehalle der Bund der historischen deutschen Schützenbruderschaften feierlich proklamiert. Im Anschluss an den Festakt zogen über 15.000 Schützen aus dem gesamten Rheinland und Westfalen in einem großen Festzug über die Hohenzollernbrücke in die Kölner Innenstadt.

Nur drei Wochen später fand in Köln das 14. Deutsche Turnfest statt. Zum Abschluss zog abermals ein großer Festzug über die Ringstraße und Aachener Straße zum Stadion nach Müngersdorf. Gegenüber der Ehrentribüne am Rudolfplatz spielte die Kapelle von Hermann Schmidt über 4 Stunden lang zum Vorbeimarsch von über 300.000 Turnern aus ganz Deutschland.

Im folgenden Jahr feierte die kölnische Zollfestung Zons ihr Stadtjubiläum mit einem großen historischen Festzug, der seitens der Kölner Karnevalsgesellschaften mit historischen Kostümen und Rüstungen unterstützt wurde. Die Festmusik stellte auch hier Hermann Schmidt mit seiner Kapelle. 

Am 13. Oktober 1929 wurde schließlich die neuerbaute Mülheimer Brücke eingeweiht. Nach dem Festakt auf der Brücke marschierten die Fahnenabordnungen der Kölner Vereine und Innungen mit Musikbegleitung zurück nach Köln, wo sie im Gürzenich mit einem Festessen empfangen wurden.

Hinzu kamen die jährlich wiederkehrenden Feste und Ereignisse: Wie bereits erwähnt nahmen alle Kölner Kapellen auf prominenter Position am Rosenmontagszug teil. Sie spielten ebenso allesamt zur großen Stadtprozession an Fronleichnam. Die Kirchenmusik hatte damals noch einen sehr hohen Stellenwert in Köln. Jede Innenstadtpfarrei hielt eine oder mehrere Prozessionen ab, stets begleitet von der dazugehörigen Veedelskirmes, auf der neben Bierzelt, Karussells und allerhand Schaustellerbuden auch immer eine gute Blasmusik lockte. Schließlich waren die Kölner Kapellen auch weit über die Stadtgrenzen hinaus beliebt und geschätzt. Sie spielten im Sommer zu Kurkonzerten in Bad Neuenahr oder Bad Godesberg ebenso wie zum großen Schützenfest in Neuss. Besonders beliebt waren damals noch Ausflüge mit dem Rheindampfer in die Weindörfer des romantischen Rheintals. Oft war dabei eine der Musikkapellen mit an Bord, um das Publikum während der gesamten Fahrt mit Rheinliedern und Blasmusik zu unterhalten.

 

 

Das Musikkorps des Kölner Garde-Vereins auf dem Neusser Schützenfest, 1929  

 

Eröffnung der Mülheimer Brücke am 13. Oktober 1929

 

 

 

Der Rosenmontag des Jahres 1929 ging als kältester Rosenmontag aller Zeiten in die Geschichte ein. Temperaturen von minus 14 Grad Celsius ließen bei den Zuschauern den Sekt in den Gläsern gefrieren und auch die Musiker mussten sich während des gesamten Umzuges mit eingefrorenen Instrumenten herumplagen.

 

Die kulturelle Blüte der 1920er Jahre nahm im Spätherbst 1929 ein jähes Ende. Nach dem New Yorker Börsencrash wurde Deutschland von der Weltwirtschaftskrise erfasst. Es war die schwerste wirtschaftliche Krise der Neuzeit mit globalen Auswirkungen, durch die alleine in Deutschland Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit und somit in Not und Elend gestürzt wurden. Die wirtschaftlichen Folgen waren schnell in allen Lebensbereichen spürbar. Um Kosten zu sparen wurden im Rosenmontagszug 1930 die Musikkapellen in Größe und Umfang erheblich verkleinert. Aber es kam noch schlimmer: Aufgrund der immer größer werdenden ökonomischen Schwierigkeiten musste der Rosenmontagszug in den Jahren 1931 und 1932 komplett abgesagt werden.

 

Die Stadtverwaltung organisierte stattdessen die "Kölner Nothilfe", die Spenden sammelte um das wachsende Heer an Arbeitslosen und deren Familien mit Essen und dem Allernötigsten zu versorgen. Oberbürgermeister Adenauer bat hierzu Kapellmeister Fritz Hannemann um Mithilfe. Seine Kapelle spielte in den folgenden Monaten mehrfach im Rahmen der Nothilfe zu Platzkonzerten in der Kölner Innenstadt auf und unterstütze dadurch die Spendensammlungen. Doch diese Auftritte waren nur ein Tropfen auf den heissen Stein und so gerieten auch immer mehr Musiker aufgrund von ausbleibenden Aufträgen in wirtschaftliche Not.

 

 

 

Rosenmontag 1930: Aufgrund der Weltwirtschaftskrise zieht das Hannemannsche Blasorchester mit einer deutlich reduzierten Besetzung an der Spitze der Prinzen-Garde.

1933 - 1938

Die hinger de Gadinge stonn

 

 

Die Weltwirtschaftskrise begünstigte den Zerfall der Weimarer Republik und leitete im Januar 1933 die sogenannte Machtergreifung der Nationalsozialisten ein. Das Nazi-Regime bediente sich dreist der jahrhundertealten deutschen Militärmusiktradition, um diese nun in den Dienst ihrer Propaganda zu stellen. So mancher Blasmusiker fand sich in der Uniform einer der zahlreichen Parteigliederungen wieder. Ob dies nun aus innerer politischer Überzeugung oder vielmehr aus wirtschaftlichem Opportunismus geschah, lässt sich im Nachhinein kaum noch bestimmen. Für Hermann Schmidt galt wohl beides. Er übernahm ab 1933 auch die Funktion des Kapellmeisters einer Parteiorganisation. Dabei gab es bei ihm eine klare Trennung der Aufgabenbereiche: So spielte seine Kapelle beim Neusser Schützenfest oder auch bei Einsätzen im Rahmen der Kölner Tourismus-Werbung niemals in Parteiuniform, sondern behielt ihre alte Traditionsuniform. Hermann Schmidt selber erlaubte sich auch musikalisch so manche Freiheit, welche nicht ganz im Sinne des Regimes gewesen sein dürfte. So begrüßte er einmal, als seine Kapelle eine Ehrenformation stellen musste, einen ranghohen Parteiführer aus Berlin mit dem Karnevalsschlager "Jung, dat häste joot jemaht!". Das schaulustige Publikum auf der Straße begann sogleich, sehr zum Verdruss des Parteioberen, zu lachen, mitzusingen und sogar zu schunkeln. Während des Rosenmontagszuges erklang von Schmidts Musikern am Dom stets der "Marsch nach Motiven aus Judas Maccabäus" mit Händels mächtigem "Tochter Zion" im Trio und auch Elo Sambo, der kölsche Musiker mit afrikanischen Wurzeln, spielte regelmäßig in Hermann Schmidts Kapelle. All diese kölschen Marotten und Eigenarten dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Hermann Schmidt seine Kapelle bereitwillig in den Dienst des Regimes stellte und damit einen Beitrag zur Festigung der Diktatur leistete.

 

Andere Musiker wagten vorsichtig Kritik zu äußern. Jupp Schlösser verspottete in seinem Lied "Die hinger de Gadinge stonn und spingse" die Spitzelmethoden der Gestapo. Auch bei Karl Berbuer oder den Vier Botze finden sich in einigen Liedern zwischen den Zeilen mahnende Äußerungen. Dass sich die Karnevalisten dabei aber auf sehr dünnem Eis bewegten, belegt der Fall des Düsseldorfer Karnevalspräsidenten und Liederdichters Leo Statz. Aufgrund seiner anhaltenden Kritik am Nationalsozialismus wurde Statz verhaftet und schließlich von den Nazis ermordet.

 

Fritz Hannemann gelang es, mit seiner Kapelle Distanz zum Nazi-Regime zu halten. Er blieb seinem katholischen Milieu verbunden, was ihm in der Folgezeit allerdings zunehmend Aufträge kosten sollte. Dessen ungeachtet konnte Hannemann im Jahr 1936 sein 50-jähriges Jubiläum als Musiker im Kölner Karneval feiern. Ihm zu Ehren richteten die Kölner Karnevalisten am 12. Februar 1936 eigens eine Jubelsitzung im Gürzenich aus. Der Jubilar selber konnte an diesem Abend auf einem Ehrenstuhl im Elferrat Platz nehmen. Der Präsident der Sitzung würdigte ihn mit den Worten: "Was wäre der Kölsche Fasteleer ohne seine Lieder, und was wären seine Lieder ohne ihre Melodien? Wir Kölner lieben nun einmal volkstümliche Melodien, und es ist gar nicht so einfach, die richtigen zu finden." Der Präsident der Prinzen-Garde Thomas Liessem hielt ebenfalls eine Laudatio und ernannte Hannemann zum Ehrenmitglied im Festausschuss (heute Festkomitee) des Kölner Karnevals. Aufgrund des außergewöhnlichen Jubiläums wurde Fritz Hannemann noch eine einzigartige Ehrung zuteil: Sein Portrait zierte den 1936er Sessionsorden der Karnevalsgesellschaft "Kölnische Rheinländer", der heutigen Großen Allgemeinen KG.

 

 

 

Der 1936er Orden mit dem Portrait von Fritz Hannemann

 

 

 

Bereits wenige Wochen zuvor hatte es eine besondere Ehrung für einen anderen großen Kölner Musiker gegeben. Aus Anlass der Silberhochzeit von Käthe und Willi Ostermann vereinigten sich die großen Kölner Musikkapellen am Abend des 13. Januar 1936 vor Ostermanns Haus am Neumarkt zu einem großen Klangkörper. Es war dies das erste und einzige Mal, dass eine solche Formation gebildet wurde. Ein Teilnehmer berichtete: "Welch eine Überraschung war es für Willi Ostermann und seine Frau, als sich gegen Abend der große Platz des Neumarktes von Minute zu Minute mehr anfüllte mit einer unüberschaubaren Menschenmenge, die ihm, dem großen Sohn der Stadt, ihre Verehrung zu Füßen legen wollte. Als dann im Fackelschein alle Musikkapellen des Kölner Karnevals sich vor dem Hause Ostermanns zu einem geschlossenen Klangkörper formierten und Ostermannsche Weisen über den weiten Platz hallten, kannte die Begeisterung der Massen keine Grenzen mehr. Der Neumarkt war, soweit man sehen konnte, ein wogendes, schunkelndes Meer von Menschen."

 

 

 

Die Serenade zu Ehren Willi Ostermanns am 13. Januar 1936.

 

 

Nur kurze Zeit später zogen dunkle Wolken über dem Rhein auf. Am 7. März 1936 besetzte die deutsche Wehrmacht entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrages das Rheinland und beendete damit die fast 20-jährige Phase der Entmilitarisierung. Zum ersten Mal seit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden nun wieder deutsche Militärkapellen in Köln stationiert. Einige Veranstalter und Karnevalspräsidenten nutzten umgehend die Gelegenheit, ihre Veranstaltungen jetzt wieder mit einer Militärkapelle zu schmücken, ungeachtet der bisherigen Leistungen und Verdienste der Kölner Zivilkapellen, deren Wirken vorübergehend erneut eingeschränkt wurde.

Anfang August 1936 verstarb der große Kölner Sänger Willi Ostermann. Zu seiner Beerdigung zog ein unüberschaubarer Trauerzug vom Neumarkt über die Mittel- und Aachener Straße nach Melaten. Der Musikverein "Ossian" und die Kapelle Fritz Hannemann begleiteten den populären Dichterkomponisten auf seinem letzten Weg. An seinem Grab spielte das Hannemannsche Blasorchester zunächst Ostermanns wohl schönstes Lied "Och wat wor dat fröher schön doch en Colonia", bevor schließlich erstmals sein "Heimweh nach Köln" erklang, dessen Text er noch auf dem Sterbebett vollendet hatte.

 

 

 

 

 

Ein gutes Jahr später, im August 1937, feierte Fritz Hannemann seinen 70. Geburtstag. Der Kölner Stadt Anzeiger widmete dem beliebten Kapellmeister an diesem Tag einen Artikel: "Was soll man über Hannemann noch viel erzählen. Es gibt kaum einen Kölner und eine Kölnerin, die ihn nicht kennen. In den fünf Jahrzehnten seiner Kölner Musiktätigkeit hat dieser Westfale, der heute schon viele Jahre ein waschechter Kölner ist, mancherlei im Kölner Karneval erlebt und gesehen, und er hatte selbst an dem Gelingen des vaterstädtischen Festes viel Anteil, sei es nun, daß er mit seiner Kapelle die schmissigen Melodien spielte, oder sei es, daß er eine ziemliche Anzahl von Kompositionen schuf, die noch heute zum eisernen Bestand der Kölner Karnevalsmusik gehören."

Im selben Jahr fand in Paris die Weltausstellung statt. Die Stadt Köln konnte sich dort, als einzige Stadt, mit einem eigenen Pavillon präsentieren. Der Kölner Pavillon war als eine Art Hausboot auf der Seine angelegt und drohte beinahe neben Albert Speers vor Größenwahn strotzenden Deutschen Pavillon zu verschwinden. Im Pavillon selbst gab es neben den eigentlichen Ausstellungsräumen zur Kölner Stadtentwicklung auch ein großes Restaurant. Im Herbst 1937 reiste die Kapelle Hermann Schmidt nach Paris um auf der Weltausstellung ein vielbeachtetes Konzert mit typisch kölscher Musik zu geben. Darüber hinaus präsentierte man den Parisern und ihren internationalen Gästen einen rheinischen Abend, zu dem die Kapelle ebenfalls aufspielte. Obwohl die Auftritte in Paris den unbestrittenen Höhepunkt in der Karriere Hermann Schmidts darstellten, konnte er diesen Erfolg aufgrund einer schweren Erkrankung nicht mehr voll auskosten. Die Leitung seiner Kapelle in Paris übernahm vertretungsweise ein junger Kapellmeister, den Schmidt von der Hannemannschen Kapelle geholt hatte: Christian Reuter.

 

 

1938 - 1945

Vorzeichenwechsel

 

Im Januar 1938 verstarben binnen weniger Wochen die beiden großen Kapellmeister des Kölner Karnevals Fritz Hannemann und Hermann Schmidt. Ihr Nachfolger wurde Christian Reuter. Er war im Jahr 1899 als Sohn eines Klavierbauers in der Sternengasse geboren worden. Reuter galt als ausgezeichneter Trompeter und Pianist. Schon als 15-jährigen hatte Fritz Hannemann ihn in seine Kapelle aufgenommen. Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges begann Reuter ein Musikstudium am alten Kölner Konservatorium in der Wolfsstraße. Während des Krieges diente er dann als Militärmusiker. Nach dem Krieg kehrte Christian Reuter nach Köln zurück, um am Konservatorium sein Studium abzuschließen. In der Folgezeit spielte er als erster Trompeter in der Kapelle von Fritz Hannemann und avancierte dort schließlich zu Hannemanns Stellvertreter. Bereits im Jahr 1929 hatte Christian Reuter einen neuen Regimentsmarsch für die Ehrengarde der Stadt Köln komponiert, der bis zum heutigen Tage gespielt wird. Nun übernahm er die Leitung über Kölns führende Musikkapelle.

 

Am 29. Juli 1938 schlängelte sich ein bemerkenswerter Zug durch die Straßen der Kölner Altstadt. Das Hänneschen-Theater zog von seinem alten Theaterbau im Rubenshaus an der Sternengasse in seine neue Spielstätte am Eisenmarkt um. Hans Molitor, der Verwaltungsdirektor der städtischen Bühnen, inszenierte diesen Umzug als öffentlichkeitswirksames Spektakel in Form eines bunten Festzuges, bei denen die Figuren des Hänneschen-Theaters lebendig dargestellt wurden. Die Kölner Musikkapellen, ebenfalls verkleidet als kölsche Originale, begleiteten das Hänneschen-Ensemble bei seinem Umzug mit viel kölscher Blasmusik, vorneweg die berittenen Fanfarenbläser des Garde-Vereins als stadtkölnische Herolde. Selbst die Roten Funken ließen es sich nicht nehmen, mitten im Sommer an diesem Festzug teilzunehmen. Es war ein großes kölsches Fest, bei dem tausende Zuschauer den Zugweg säumten und das in einem wohltuendem Kontrast zu den sonst üblichen Aufmärschen der braunen Machthaber stand.

 

 

 

 

 

 

Noch im selben Jahr wurde Christian Reuter zum Korpskapellmeister der Prinzen-Garde und zum Kapellmeister des Festausschuss des Kölner Karnevals ernannt. Als am 16. Februar 1939 das neuerrichtete Denkmal für Willi Ostermann feierlich eingeweiht wurde, dirigierte Christian Reuter seine Kapelle erstmals öffentlich als neuer Kapellmeister der Prinzen-Garde. Die Kapelle war zu diesem Anlass eigens mit komplett frisch geschneiderten Uniformen ausgestattet worden. Der kleine Platz im Herzen der Altstadt war bis zum Bersten mit Publikum gefüllt. Alle großen Karnevalsgesellschaften und Korps hatten ihre Fahnenabordnungen geschickt. In zahlreichen Festreden wurde des großen Kölner Volkssängers und Dichterkomponisten gedacht. Die Kapelle der Prinzen-Garde umrahmte die Veranstaltung mit Ostermanns populärsten Liedern und Krätzchen.

 

Aber auch abseits des Karnevals war die Kapelle weiterhin äußerst gefragt. Wie bereits Fritz Hannemann zuvor, so nutzte nun auch Christian Reuter die Möglichkeit, den Bekanntheitsgrad seiner Musikkapelle durch Schallplatten-Produktionen zu steigern. Darüber hinaus war die Kapelle Reuter regelmäßig im Rundfunk zu hören.

 

 

 

 

 

 

 

 

Im September 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus und verhinderte jede weitere zivile Entwicklung. Immerhin konnte Christian Reuter einen Teil seiner Kapelle zusammenhalten. Anders als im Ersten Weltkrieg wollte das Nazi-Regime einen Zusammenbruch der sogenannten Heimatfront vermeiden. Daher wurde dem Unterhaltungssektor zunächst noch eine andere Bedeutung beigemessen, als dies im Jahr 1914 der Fall gewesen war.

Die ersten Kriegsjahre verliefen in Köln verhältnismäßig ruhig. Im Jahr 1940 wurde sogar noch einmal, wenn auch nur inoffiziell, Karneval gefeiert. In der Folgezeit unternahm die Kapelle Christian Reuter mehrere Tourneen, um im Rahmen der Truppenbetreuung bei verschiedenen Front-Theatern aufzuspielen. Später wurde die Kapelle auch in der Heimat zu sogenannten "musikalischen Werkspausen" eingesetzt.

Spätestens im Jahr 1942 kehrte der vom Nazi-Regime entfesselte Krieg aber mit all seinen Schrecken in sein Ausgangsland zurück. In endlosen Bombennächten wurde das alte Köln, die vielbesungene schöne Stadt am Rhein mit ihrem jahrhundertealten, flämisch geprägten Stadtbild in Schutt und Asche gelegt. In Erinnerung gehalten bleiben sollten dabei die besonders schweren Luftangriffe vom 31. Mai 1942 ("1.000-Bomber-Angriff") und vom 29. Juni 1943 ("Peter und Paul-Angriff"). Aufgrund der zunehmenden Zerstörung ihrer Stadt stand vielen Kölnern nicht mehr der Sinn nach fröhlicher Blasmusik. Der Kriegsverlauf tat sein übriges dazu, so dass immer mehr Musiker einberufen wurden und der Orchesterbetrieb allmählich zum Erliegen kam. Das endgültige Aus kam schließlich am 1. September 1944, als die Nazi-Regierung im Rahmen des "totalen Kriegseinsatzes" die Schließung aller Unterhaltungsstätten und Veranstaltungsorte anordnete.

Am Ende dieses entsetzlichen Krieges existierte das alte Köln nicht mehr. Es waren nur Trümmer übrig geblieben, aus denen trotzig die Türme des unzerstörten Domes herausragten.

 

 

 

 

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© Stadtkapelle Köln - Kölner Blasorchester 1893